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Ich weiß nicht, wieviel Züge täglich von Oberhof in Richtung Gehlberg oder umgekehrt verkehren, aber ständig, kurz nachdem der Zug einen der beiden Bahnhöfe langsam verläßt, schrillt hellauf die Dampfpfeife der Lokomotive. Der Fahrgast weiß Bescheid, schnell springt er zum Fenster und schließt mit einem Krach das Abteilfenster, die Einfahrt in den 3.039 Meter langen Brandleite-Tunnel beginnt, und für mehrere Minuten werden wir des lachenden Thüringer Himmels entzogen. In der Tunnelmitte befinden wir uns genau 240 Meter unter dem Rennsteig. Hier ist die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser. So eine künstlich hergestellte Riesenhöhle quer durch den Berg verdient unsere Bewunderung und kaum kann man sich vorstellen, welche Mühen ein derartiges kühnes Bauwerk verursacht haben mag, von den ungeheuren Kosten ganz zu schweigen. Vor mehr als 50 Jahren wurde der erste Spatenstich zu dem gewaltigen Werk getan. Bedenken wir, man stand zu jener Zeit erst am Anfang der Erschließung unseres Vaterlandes durch Eisenbahnen. Für viele der damaligen Zeitgenossen mag der Durchstich des Berges für eine Schienenstraße als überflüssig angesehen worden sein, aber getragen von einer zukunftreichen und weitsichtigen Verkehrspolitik wurde der Bauplan in die Wirklichkeit umgesetzt und wurde nach Vollendung als ein großes Werk deutscher Ingenieurkunst gefeiert. Nord- und Süddeutschland waren (sich) durch eine neue Verkehrsstraße näher gerückt. Westportal des Brandleite-Tunnels (Photo: Löffler) |
Es begann damit, daß »allerlei« Arbeiter die vordem stille Gegend des Thüringer Waldes bevölkerten. Stolz vermeldete Oberhof einen Zuwachs von 40 Einwohnern. Es war hingegen unmöglich, das ganze Heer der Schaffenden in Oberhof unterzubringen. So entstanden dann in Langebach, dem heutigen Osteingang, viele neue Wohnhäuser, teils in einfacher Barackenart. Auch nach der Gehlberger Mühle zu wuchsen weitere Bauten wie Pilze aus der Erde, die alle als Arbeiterwohnungen dienen mußten. Neben den Einheimischen waren es Bayern, Schlesier, Italiener, Polen und Böhmen, die sich als gute Erdarbeiter bewährten. Vornehmlich aber die Italiener wurden verlangt, die damals gerade vom St.-Gotthard-Tunnel kamen, der in zehnjähriger Arbeit vollendet worden war. Um die Arbeit zu beschleunigen, wurde neben den Durchbrüchen von beiden Seiten auch noch von der Höhe ein Schacht in die Tiefe getrieben, um so gewissermaßen auch in Tunnelmitte beginnen zu können. Bei einer Sprengung brach aber ein unterirdischer Wasserlauf durch, und der Schacht versoff vollständig. Mit großer Wucht und Schnelligkeit brachen ungeheure Wassermassen hervor, Bohlen und Balken mit sich reißend. Kaum konnten sich die Arbeiter retten. Hier konnte nicht mehr weiter gearbeitet werden, trotz eifrigster Bemühungen verliefen sich die Wassermassen erst, als man sich vom Tunneleingang her dem Arbeitsplatz näherte. Von den Seiten her gingen die Arbeiten wacker vorwärts. Leicht war es nicht, da das Gestein ungeheuer hart war. Ununterbrochen wurde gearbeitet. Über zwei Jahre wühlte man sich schon unverdrossen in den Berg hinein, und nach der Berechnung der Geometer mußte man bald auf beiden Seiten zusammen stoßen. Man war gespannt, wann dieser große Augenblick eintreten würde. Und da, eines Tages hatten die Arbeiter des eines Durchbruches auf der Gegenseite schießen hören. Lassen wir die Ortschronik über den Tag des Gelingens berichten, wir lesen: Am elften Februar 1883, früh 4 Uhr 54 Minuten, erfolgte endlich der Durchbruch des am 1. Juli 1880 begonnenen Brandleite-Tunnels. Die erste Öffnung war etwa fünfzig Zentimeter im Durchmesser, so daß eine Person bequem hindurch kriechen konnte. Dieser Durchschlag, der mit fast mathematischer Genauigkeit erfolgte, wurde am 21. Februar in einem Feste gefeiert. Die zahlreich eingeladenen und erschienenen Gäste sowie ein Militär-Musikkorps hatten auf (den) mit grünen Reißig und Girlanden geschmückten Wagen Platz genommen und fuhren in den östlichen Einschnitt ein. Am Portal wurde angehalten, die kleine, den Zug schiebende Lokomotive abgehängt und Pferde vor die Wagen gespannt. Ein langer Zug Arbeiter mit ihren brennenden Tunnellampen schritt voran, und unter den Klängen eines rauschenden Marsches bewegte sich Zug langsam in den Tunnel. Dieser war an zahlreichen Stellen aufs Glänzendste illuminiert und mit sinnigen Transparenten geschmückt. Im Innern des Tunnels wurden die Festteilnehmer mit einem Imbiß und einem frischen Trunk erquickt. Der Bauinspektor Lengeling aus Magdeburg hielt die Festrede. Aber es gab noch mehrere Monate angestrengte Arbeit; am 1. August 1884 konnte der erste Zug den Brandleite-Tunnel durchfahren. |
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Quelle: Zeitschrift »Durch alle Welt«, Verlag Peter J. Oestergaard, Berlin-Schöneberg, Heft 12, März 1936 |
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